Protzen, angeben und auftrumpfen sind Verhaltensweisen, die gerne Männern zugeschrieben werden. Doch es gibt auch die Form des weiblichen Narzissmus. Dieser ist eher verdeckt und spielt sich mehr im Verborgenen ab. Hierbei schwanken zumeist Frauen in ihrem Selbstwertgefühl zwischen Größenwahn und Minderwertigkeitskomplexen hin und her. Man muss oft genauer hinsehen, bevor die Tendenz, sich alles für die Pflege des eigenen Egos einzuverleiben, deutlich sichtbar wird.
Eine Frau mit einer weiblich narzisstischen Struktur leidet unter einem instabilen Selbstwertgefühl, das starken Schwankungen unterliegt. Auf der einen Seite hält sie sich für die Größte oder die Schönste, auf der anderen Seite glaubt sie, wenig bis gar nichts wert zu sein. Sie ist ständig besorgt, jemand könnte besser sein als sie und ihre Unzulänglichkeiten könnten auffliegen. So bewegt sie sich permanent zwischen einem Größen- und einem Minderwertigkeitsgefühl und braucht zur Stabilisierung die ständige Bestätigung von außen.
Die Psychologin Bärbel Wardetzki zeigt in ihrem Buch „Weiblicher Narzissmus“ die typischen Kennzeichen des weiblichen Narzissmus auf:
- Das Leben in Extremen. Entweder begibt sich die Frau in eine vollständige Abhängigkeit und geht im Idealbild des Mannes auf oder sie lebt in totaler Selbständigkeit und bleibt autonom, aber allein. Eine Kombination aus beidem scheint ihr nicht möglich zu sein. Da sie ein labiles Selbstwertgefühl hat, kann sie nicht beide Anteile als Ausdruck ihrer Persönlichkeit akzeptieren. Sie erlaubt es sich nicht, sie selbst zu sein, und fordert von sich Anpassung und Selbstaufgabe oder die totale Unabhängigkeit.
- Die Selbsteinschätzung der Frau ist ständigen Schwankungen unterworfen. Entweder fühlt sie sich großartig und stark oder hilflos und schwach. Dieser Zustand ist stark abhängig von der Zufuhr an Bewunderung durch die Mitmenschen. Erhält sie die ersehnte Aufmerksamkeit, fühlt sie sich gut bis geradezu euphorisch. Bleibt die Beachtung durch andere aus, fällt ihr Selbstwertgefühl in sich zusammen und es fällt ihr schwer, ihre Gefühle zu kontrollieren. Sie ist unfähig, sich selbst in Bezug zu anderen richtig einzuschätzen, und kann ihren Wert daher nur anhand der Reaktionen aus dem Umfeld einschätzen.
- Die Frau glaubt, perfekt sein zu müssen. Sie glaubt, Anerkennung und Bewunderung nicht für ihre Person zu erhalten, sondern für ihre Schönheit, Leistungsfähigkeit, Intelligenz oder andere Fähigkeiten. Droht der Verlust von Bewunderung oder einer ihrer exzellenten Fähigkeiten, kann das Selbstwertgefühl zusammenbrechen. Daher tut sie alles, um ewige Jugend, Schönheit und Leistungsfähigkeit zu besitzen und zu erhalten.
- Die Frau pflegt ihre Attraktivität. Obwohl sie sehr viel Wert auf ihr Äußeres legt und eine gute Figur hat, lehnt sie sich innerlich von Grund auf ab. Sie findet sich hässlich und dick, unattraktiv und nicht liebenswert. Egal, wie sehr sie ihr Äußeres zu perfektionieren versucht – durch Mode und Kosmetik, Sport und gesunde Ernährung: Ihr Körper wird ihr nie gut genug sein. Immer findet sie noch ein Detail, das sie glauben lässt, unzureichend zu sein oder möglicherweise von anderen abgestoßen zu werden.
- Sie spielt die gut Gelaunte. Nach außen zeigt sie sich immer in guter Stimmung, ansprechbereit, hilfsbereit und freundlich. Sie ist immer gut drauf, gefestigt und macht einen perfekten Job. Sie ist engagiert, konzentriert und ehrgeizig. Andere Menschen steckt sie oft mit ihrer guten Laune an und kann sie mitreißen. Doch das ist nur eine Fassade. Ist sie alleine, fühlt sie sich leer und depressiv. In einsamen Stunden ist sie sich ihrer keineswegs so sicher, wie sie es nach außen demonstriert. Dann kommen ihr tiefe Selbstzweifel an ihrer gespielten Souveränität und Heiterkeit.
- Der Körper ist der Sündenbock. Die Frau kann ihren Körper nur dann akzeptieren, wenn er ihrem Ideal entspricht. Er muss stets gesund und topfit sein, jeder noch so kleine Makel wird als Begründung für Misserfolge herangezogen. Sie glaubt z. B., ihr Partner würde sich allein deshalb von ihr trennen, weil sie dick und hässlich ist oder weil sie eine kleine Narbe über dem Bauchnabel hat. Oder sie würde einen Job nicht bekommen, weil dem Personalchef ihre Figur nicht passt. Immer gibt sie ihrem Körper die Verantwortung für einen Misserfolg.
- Die narzisstische Frau hat sensible Antennen. Sie fährt ständig ihre Fühler aus, um herauszubekommen, wie sie bei anderen ankommt. Sie will das Gefühl haben, die Beste, Tollste und Schönste zu sein. In anderen Frauen kann sie nur Konkurrentinnen sehen, die sie übertrumpfen wollen. Sie will unbedingt besser sein als andere, um alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und dem depressiven Gefühl der Minderwertigkeit zu entkommen.
- Sie sehnt sich nach Liebe und Anerkennung. Der Teufelskreis besteht darin, dass sie sich vom Erreichen dieses Zieles vollständig abhängig macht. Sie will sich gut fühlen. Hat sie es einmal geschafft und glaubt, ihrer Idealvorstellung zu entsprechen, fühlt sie sich zwar innerlich sicher, braucht jedoch sofort wieder einen „Nachschlag“. Ihr inneres Glücksgefühl wird einzig von der Zufuhr von außen abhängig gemacht. Ist sie mit sich allein, zerbricht die Welt der euphorischen Gefühle, und zurück bleibt nur die Leere.
Die narzisstische Frau lebt in diesem zentralen Spannungsfeld zwischen berauschender Grandiosität und deprimierender Minderwertigkeit. Es fällt ihr schwer, sowohl den weiblichen als auch den männlichen Anteil in ihrer Persönlichkeit als ganz normales Selbstverständnis zu integrieren. Entweder wird der männliche Aspekt durch Leistung, Dominanz und Perfektion nach außen überbetont oder dem weiblichen Anteil wird durch Schwäche, Nachgiebigkeit und Wertlosigkeit ein zu hoher Stellenwert beigemessen. Der weibliche Narzissmus ist durch diese extreme Spaltung der Persönlichkeit gekennzeichnet.
Der Selbstwert wird allein von der Bewunderung abhängig gemacht
Die narzisstische Frau macht sich davon abhängig, was andere von ihr denken und wie sie bei anderen ankommt. Im Grunde tut sie die wenigsten Dinge, weil sie ihr Spaß machen, weil sie ihr guttun oder weil es einfach aus ihr herauskommt. Sie tut sie, um anderen zu gefallen. Die Anerkennung soll ihr fehlendes Selbstwertgefühl ausgleichen, da sie nicht in der Lage ist, es von innen heraus zu regulieren. Das mangelnde Gespür für die eigenen wahren Bedürfnisse zeigt den Mangel an Eigenliebe. Da es an Selbstliebe fehlt, glaubt die Frau, Liebe durch Bewunderung von außen erlangen zu können.
Bewunderung ist aber keine Liebe
Die meisten Menschen sehen das Problem der Liebe in erster Linie als Problem, selbst geliebt zu werden, statt selbst zu lieben und lieben zu können. Daher geht es für sie nur darum, wie man es erreicht, geliebt zu werden, wie man liebenswert wird. Erich Fromm
Bewunderung erhält man für eine bestimmte Leistung oder einen bestimmten Zustand: sie ist situationsbezogen und damit vergänglich. Liebe dagegen richtet sich an den ganzen Menschen mit seinen Stärken und seinen Schwächen. Wahre Liebe unterscheidet nicht, was jemand leistet, ob jemand Erfolg hat, ob jemand attraktiv ist oder ob er nichts davon ist oder hat. Wahre Liebe ist immer da und kann nicht vergehen. Da aber die wenigsten Menschen wahre Liebe empfangen, dient die Bewunderung als eine Art Ersatzbefriedigung. Aus der Unfähigkeit heraus, selbst lieben zu können, und aus dem egoistischen und einseitigen Wunsch, selbst geliebt werden zu wollen, richten sich die Bemühungen vieler Menschen darauf, sich mit der Bewunderung zu begnügen, der es an Nachhaltigkeit fehlt und die daher immer wieder von neuem entfacht werden muss.
Die narzisstische Frau zahlt einen hohen Preis
Sie passt sich ganz der Umgebung an, macht sich abhängig von anderen Menschen und leugnet dabei ihre wahren Wünsche und Bedürfnisse. Im Grunde ist es ein billiges Tauschgeschäft: Sie verliert sich selbst und bekommt dafür die Anerkennung, die sie glaubt, so bitter für ihr Überleben zu benötigen.
Dieser Kompromiss geht immer auf Kosten der seelischen und körperlichen Gesundheit. Wer seine Seele unterdrückt, darf damit rechnen, dass sie sich – notfalls auf unüberhörbare Art und Weise – zu diesem Verhalten äußern wird. Krankheiten psychosomatischer Art, Depressionen oder Süchte sind letztendlich die Folge einer unterdrückten Seele. Statt der eigenen Seele die volle Aufmerksamkeit und Liebe zu schenken, muss sie sich mit dem Ersatzstimulans der Bewunderung begnügen. Da es sich hierbei aber nicht um wahre Liebe handelt, wird das die Seele nicht nähren. Sie verkümmert und erleidet Schmerzen.
Der mangelnde Selbstwert führt zu massiven Beziehungsstörungen
In einer Beziehung äußert sich der weibliche Narzissmus in einem permanenten Schwanken zwischen Nähe und Distanz. Auf der einen Seite sehnt sich der weibliche Narzisst danach, eine erfüllte Beziehung einzugehen, auf der anderen Seite erlebt sie in einer Beziehung ihre Angst, vom Partner verschlungen, vereinnahmt und abhängig zu werden. Wählt sie hingegen die Distanz, dann fürchtet sie das Alleinsein und wird depressiv. Egal in welchem Zustand sie sich befindet, es will sich kein inneres Gleichgewicht und keine Zufriedenheit einstellen. Der innere Konflikt zwischen Abhängigkeit und Selbständigkeit wird auch in der Beziehung gelebt.
Der weibliche Narzissmus ist auch dadurch gekennzeichnet, dass die narzisstische Frau am Anfang einer Beziehung zunächst selbstbewusst, gefestigt und zielstrebig auftritt. Sie macht keinesfalls den Eindruck, als wüsste sie nicht, was sie will. In der Beziehung macht sie sich jedoch abhängig, passt sich dem Partner stark an, unterdrückt ihre eigenen Bedürfnisse, wird unselbständig, klammert und fixiert sich voll und ganz auf den Partner. Sie verliert sich im Partner und nimmt sich nicht mehr als eigenständige Person wahr. Jede Form der Distanzierung wird wie eine Trennung empfunden. Sie gerät in Panik, was immer wieder aufs Neue einen Beziehungskonflikt heraufbeschwört.